»Um für unwetterartigen Regen gewappnet zu sein, brauchen wir größere Kanalrohre« – dies forderten Teilnehmer von Talkshows nach den Unwettern in Rheinland-Pfalz. Warum dieser Gedanke zu kurz gedacht ist, erklären Jan Philipp Körber und Jochen Becker vom Zweckverband Lollar-Staufenberg.
VON PATRICK DEHNHARDT
Die Zahl von Unwettern mit Starkregen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. In Dornholzhausen (2020) oder Bellersheim (2018) kann man davon ein Lied singen. Nach den Unwettern in Westdeutschland im Juli wurde in einigen Medien der Ruf laut, dass die Kanalisation für solche Unwetterereignisse ausgebaut werden müsste. Beim Zweckverband Lollar-Staufenberg (ZLS) wundert man sich über die Aussagen der »Experten« in den Talkshows. Zum einen, weil die Kanalrohre bereits auf Unwetter ausgelegt sind. Zum anderen, weil es auch Grenzen gibt, was an Ausbau sinnvoll und möglich ist.
Wir können keine Kanäle so groß wie U-Bahn-Tunnel bauen. Das ist nicht finanzierbar. JOCHEN BECKER
In Hagen etwa fielen beim Juliunwetter über 200 Liter Regen pro Quadratmeter. »Abwassernetze dafür in bestehenden Ortslagen zu bauen ist unmöglich«, sagt Geschäftsführer Jochen Becker: »Wir können keine Kanäle so groß wie U-Bahn-Tunnel bauen. Das ist nicht finanzierbar, in der Unterhaltung extrem teuer und der Platz zudem bereits belegt.«
Überdimensionierte Rohre würden vielleicht bei einem Jahrhundertunwetter helfen. Die restlichen 99 Jahre und 364 Tage würde darin jedoch das Wasser nicht richtig abfließen. Dadurch würden sich Ablagerungen bilden, die Kanäle müssten ständig gespült werden, damit es nicht zum Himmel stinkt.
Zudem fehlt es am nötigen Platz. Gerade in alten Ortskernen sind die Straßen schmal. Neben den Kanalrohren müssen Stromkabel, Kupfer- oder Glasfasernetz sowie Wasser- und gegebenenfalls Gasleitungen oder Fernwärmerohre unter der Asphaltdecke untergebracht werden. »Ich kann es nicht übereinander bauen«, sagt Becker. Denn sonst müsste man bei einem Schaden an einem Rohr auch andere Netze ausbuddeln und unterbrechen.
Auch in Neubaugebieten seien Grenzen gesetzt. Denn je breiter die Straße wird, desto größer wird die versiegelte Fläche – und damit fällt auch wieder mehr Niederschlagswasser an.
Der deutsche Gesetzgeber hat klare Vorgaben gemacht, mit welcher Dimension Abwasserkanäle zu bauen sind. Bei einem Unwetter, wie es statistisch betrachtet einmal alle zwei Jahre auftritt, darf das Rohr randvoll sein. Bei einem Starkregen, der einmal in drei Jahren im Schnitt auftritt, darf das Wasser in den Wartungsschächten bis an die Kanaldeckelkante steigen.
»Das bedeutet, dass das öffentliche Kanalnetz einen Niederschlag von rund 23 Litern pro Quadratmeter in einer Stunde schadlos ableiten muss«. sagt Jan Philipp Körber, stellvertretender Geschäftsführer des ZLS. Schadlos heißt, dass kein Abwasser oben aus den Kanaldeckeln herausdrückt.
In Lollar und Staufenberg sind alle Kanalrohre entsprechend berechnet und gebaut worden. Damit ist die DIN-Norm erfüllt. Dennoch könnte es in manchen Häusern zu überfluteten Kellern kommen, wenn dort keine Rückstauklappen verbaut sind. »Alles, was tiefer als das Straßenniveau liegt, kann von einem Rückstau betroffen sein«, warnt Körber.
Der ZLS bietet daher – ebenso wie andere Zweckverbände– Beratungstermine zu Schutzmaßnahmen vor Ort an. »Viele haben das Thema nicht auf dem Schirm, weil es bei ihnen noch nie einen Rückstau gab«, sagt Becker. Spätestens an dieser Stelle wird klar: Beim Starkregenschutz sind die Grundstückseigentümer mit gefragt. Auch Trennsysteme – also je ein Rohr für Niederschlags- und eines für Abwasser – sind kein Allheilmittel, erklärt Körber. Nicht überall gibt es genügend Platz für zwei Rohre nebeneinander. Zudem müsste bei vielen Gebäuden erst einmal Regen- und Abwassernetz entflochten und dafür teils neue Rohre verlegt werden.
Mancherorts fehlt der Platz für notwendige Staukanäle. Dabei handelt es sich um Rohre mit mehreren Metern Durch-messer, von denen ein deutlich kleineres Rohr abgeht. Kommt aufgrund starken Regens darin mehr Wasser an, als durch den Abfluss passt, kommt es zum geplanten Rückstau – quasi ein Rückhaltebecken unter Tage. Ohne Rückhaltebecken oder Staukanäle geht mittlerweile nichts mehr. Denn der Niederschlag darf nicht eins zu eins in den nächsten Bach durchgeleitet werden, sagt Körber. Es gibt genaue Einleitebeschränkungen – und diese lassen sich nur durch komplexe Rückhalesysteme einhalten.
Becker erklärt die Lage am Baugebiet »Schautanz« in Staufenberg. Dort gab es nicht genügend Platz, um mit Staukanälen und Rückhaltebecken das vorgeschriebene Rückhaltevolumen zu erreichen. Denn es durfte nicht mehr Wasser in den Bach eingeleitet werden, als von der zuvor unbebauten Fläche abfloss. Daher wurden die Bauherren in die Pflicht genommen: Auf jedem Grundstück musste eine Zisterne errichtet werden.
Vorgaben für Großprojekte
In Lollar und Staufenberg wird bei größeren Bauprojekten den Bauherren vorgegeben, wie viel Wasser sie maximal in das Kanalsystem einleiten dürfen. Den Rest müssen sie auf den Grundstücken zurückhalten. »Der Bauträger muss sich um den Rückhalt kümmern, damit wir bei Unwettern genügend Puffer im Kanal haben«, sagt Jochen Becker. »Da ist egal, ob da jemand einen privaten Gewerbebetrieb oder der Landkreis eine neue Schule baut.« Als Basis für die Berechnung dient ein Regen, der alle 30 Jahre einmal auftritt.
Aufgrund von Unwettern überall mannshohe Abwasserkanäle zu bauen ist keine Lösung.