Er hat einst Journalistik studiert, sie bei der Bahn gelernt, nun sind beide Abwasser-Experten. Kilian Krämer und Jenny Wagner sind erst über Umwege zum für sie passenden Job beim ZLS in Lollar gelangt. Der Verband setzt auf Ausbildung – und will mit Klischees über das vielseitige Berufsbild aufräumen.

Manchmal führt der Weg zum Wunsch-Job über Abzweige, davon kann Kilian Krämer ein Lied singen. Ursprünglich hatte der Ruttershäuser ganz andere Ideen für sein Berufsleben: »Ich hatte keinen Vertrag mit naturwissenschaftlichen Fächern«, verrät der beim Zweckverband Lollar-Staufenberg (ZLS) tätige Bauingenieur. Chemie habe er einst abgewählt. Nach dem Abi 2014 studierte er Fachjournalistik Geschichte – dann kam ein »Schlüsselmoment«: Ein Dozent mit starkem Dialekt habe eine Vorlesung über das »osmanische Europa« gehalten, »ich habe kaum etwas verstanden«. Krämer brach das Studium ab – und stand vor der Frage: Was nun?
Auch auf dem Berufs- Wunschzettel von Krämers Kollegin Jenny Wagner war eigentlich etwas anderes vermerkt: Nach ihrer Schulzeit hat die Beuernerin 2019 eine Ausbildung zur Fahrdienstleiterin bei der Bahn absolviert. Doch dieser Job »vorm Bildschirm « sei auf Dauer nicht ihr Ding gewesen, erzählt die 24-Jährige.
Beide haben beim ZLS ihre berufliche Heimat gefunden. 2018 heuerte Krämer hier an, begann nach der Lehrzeit ein berufsbegleitendes »Studium Plus« des Bauingenieurwesens an der Gießener THM. »Dass ich mal ein Ingenieurstudium beginne, hätte ich nicht gedacht «, blickt der 28-Jährige zurück, »aber ich bin froh, wie es gelaufen ist«. Die Weiterbildung kommt auch seinem Arbeitgeber zu Gute, etwa, weil er sich darin auch mit dem Lollarer Trinkwassernetz beschäftigt hat.
Wagner hat den ZLS einst beim Berufsorientierungstag »Girl´s Day« kennengelernt – und dort letztlich nach zwei Monaten als Hilfskraft eine Lehre angetreten. Ihre Ausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik – künftig heißt der Beruf »Umwelttechnologin für Abwasserwirtschaft« – hat sie kürzlich als Jahrgangsbeste abgeschlossen, besucht nun direkt die Techniker-Schule. »Ich bin nicht der Typ, der die ganze Zeit im Büro sitzen will«, betont sie. »Hier sitze ich auch mal im Büro«, sie hat aber eben auch im Labor, mit der Elektrotechnik, den Kanalbauwerken und mehr zutun. Der Job biete Abwechslung »und viel Teamarbeit«.
"Ich bin nicht der Typ, der die ganze Zeit im Büro sitzen will." Jenny Wagner, ZLS
In ihrer Berufsschulklasse war Wagner die einzige Frau. »Es ist immer noch eher eine Männerdomäne«, sagt ZLS-Geschäftsführer Jan Philipp Körber und ist froh, die Beuernerin im Team zu haben. Dass Krämer und Wagner nicht direkt nach der Schule, sondern über Umwege zum ZLS gefunden haben, ist aus Körbers Sicht ein Vorteil: Beide hätten schon eine gewisse Lebensreife »und sind auch sehr gut autodidaktisch unterwegs«.

So vielfältig das Berufsbild ist – das Image könnte besser sein. »Das Thema Klärschlamm ist nicht unbedingt sexy«, räumt Körber ein. Noch immer gebe es viele Vorurteile. Die Vorstellung, wonach Abwasser-Experten ihre Arbeitszeit vor allem in Kanälen und Klärbecken verbringen, sei »in der Bevölkerung noch relativ fest verankert«, sagt Wagner. »Bei Abwasser denken viele Leute: Macht ihr den ganzen Tag in der Scheiße rum?« In der Realität gehe es dagegen um eine »hochtechnische Aufgabenstellung«, die auch viel praktisches Know-How erfordere, so der ZLS-Chef. »Die Ausbildung in Verfahrenstechnik ist ein halbes Studium.« Er verweist auf die »große Verantwortung, die Abwasser-Reinigung im Rahmen der Daseinsvorsorge ordnungsgemäß zu betreiben«. Das größte Anlagekapital von Kommunen sei das Abwassernetz. Doch es ist für Otto Normalverbraucher nicht sichtbar, liegt im Verborgenen – und das gilt ein Stück weit auch für die ZLS-Aufgaben.
Die Arbeit laufe »in den meisten Fällen unter dem Radar des Bürgers« – außer, wenn es mal Probleme gibt, etwa ein Rohr bricht. »Wenn wir kaum wahrgenommen werden, machen wir im Prinzip alles richtig«, sagt Körber.
Die beiden Nachwuchskräfte geben einen Einblick in ihr Aufgabenspektrum: Sie nehmen täglich Abwasserproben und analysieren sie, inspizieren und warten Maschinen. »Auch die Messtechnik selbst muss kontrolliert werden«, informiert Krämer. Nicht zuletzt müsse man Bauwerke wie Kanäle begutachten – und bei Bedarf reagieren. Laut Körber kann etwa bei Starkregen die Durchlaufmenge in großen Rohren gedrosselt werden. Sich auf solche Ausnahmeereignisse vorzubereiten, sei eine Herausforderung.

Auch Bereitschaftsdienste gehören laut Krämer dazu, »wenn nachts was ist, muss man rausfahren«. Wagner berichtet von einer Extremsituation: Als es auf dem Nahe gelegenen Hof der Familie Schnepp in Lollar im Januar erneut brannte, wurde sie eilig alarmiert. Mit einem Kollegen fuhr sie zum Brandort, nahm Proben. Der Grund: Dünger und Löschwasser hätten gedroht, in ein Pumpwerk zu sickern. »Bei solchen Einsätzen kann man nicht lange überlegen «, sagt sie.
Auf eigenen Nachwuchs zu setzen, dürfte sich auf Dauer auszahlen, denn Fachkräftemangel und -sicherung sind auch beim ZLS längst Thema. »Siedlungswasserwirtschaft ist ein Nischenbereich«, sagt Körber – und es sei keine Nische, »auf die es einen Run gibt«. Zwar stehe beim ZLS keine Verrentungswelle von »Baby-Boomern« an. Man habe sich »stetig verjüngt«, der älteste Kollege sei noch keine 50. Doch die Personalsuche bleibe eine dauerhafte Aufgabe, und längst nicht jeder Bewerber passe zum ZLS. Nicht nur in der Abwasser-Sparte will man hier weiter auf Ausbildungen setzen, »wir sehen die Verantwortung«.
Um Nachwuchs zu halten, muss der ZLS als Arbeitgeber attraktiv sein. Die ausgezeichnete Auszubildende Wagner hat kürzlich eine Prämie erhalten. Von Fortbildungsangeboten bis zu Arbeitsschutzbrillen mit Stärke nennt Körber weitere Bausteine, mit denen man punkten wolle.
"Wenn wir kaum wahrgenommen werden, machen wir im Prinzip alles richtig." Jan Philipp Körber, ZLS
»Ich hätte auf dem Arbeitsmarkt auch die Möglichkeit, woanders hinzugehen«, sagt Wagner. Doch hier habe sie über Jahre Wertschätzung erfahren und sich weitergebildet, »das ist einem dann mehr wert«. Auch Krämer hätte andere Optionen, »aber ich sehe mich eher hier«.
Nicht zuletzt haben die beiden einen Job gefunden, dem sie einen Sinn abgewinnen können. »Etwas machen, das Nutzen vor Ort hat« – das sei ihm wichtig, sagt der Ruttershäuser. »Und wenn man sieht, was im Ahrtal passiert ist...
Man schützt auch die Region.« Das Bewusstsein junger Menschen für die Umwelt sei heute hoch, sagt Körber – und da könne die Abwasserwirtschaft als wichtiges Element des Umweltschutzes punkten.
»Die Menschen merken: Wasser ist eine wichtige Ressource, die es zu schützen gilt«, sagt Körber. Dafür braucht es Fachkräfte wie Wagner und Krämer – ob im ersten oder zweiten Anlauf.
ZLS - Wasser und Abwasser
Der Zweckverband Lollar-Staufenberg (ZLS) ist als Dienstleister für Wasserversorgung, Abwasserableitung und -reinigung sowie Hochwasserschutz zuständig, zum Verbandsgebiet gehört auch Wettenberg.
Die Kläranlage in Lollar ist laut Geschäftsführer Körber für 32 000 Einwohner ausgelegt. Der ZLS, ein Arbeitgeber im öffentlichen Dienst, kümmert sich ihm zufolge um 135 Kilometer Kanalnetz und 33 »Sonderbauwerke «, etwa Regenrückhaltebecken und Pumpwerke.